Wie Enten mit Federhauben die Rassegeflügelzucht verändern
Enten mit Federhauben stellen eine sehr alte Variation unserer Hausenten dar. Vermutlich durch spontane Mutationen entstanden, mauserte sich die Federhaube zu einem beliebten Charakteristikum, das sich insbesondere bei der heutigen Rasse Landente mit und ohne Haube als namensgebendes Rassemerkmal manifestierte.
Breite öffentliche Aufmerksamkeit erlangte die Landente mit und ohne Haube in den 1990er und 2000er Jahren. Durch die Novellierung des Deutschen Tierschutzgesetzes 1986 wurden viele Haustierrassen aufgrund erhobener Qualzuchtvorwürfe genauer unter die Lupe genommen. Und auch Landenten mit und ohne Haube, damals noch als Haubenenten geführt, waren und sind seither im Fokus dieser Qualzuchtdebatte im Sinne des § 11b TierSchG. Der Grund: Für die Rasse werden nicht nur hohe prä- und postnatale Sterberaten beschrieben, sondern auch das häufige Auftreten schädel- und hirnmorphologischer Defekte, die das Wohlergehen der Tiere massiv beeinflussen können. Denn Tiere dieser Rasse können potenziell Fettkörper im Gehirn (sog. intrakraniale Fettkörper) aufweisen, die in Abhängigkeit von Größe und Lage umliegende Gehirnstrukturen in ihrem Wachstum beeinträchtigen und dadurch problematische funktionale Einschränkungen verursachen können. Betroffen sind insbesondere Strukturen, die für die Koordination von Bewegungsabläufen zuständig sind. Symptome äußern sich daher in Schwanken, Torkeln und Umfallen betroffener Tiere, die bis hin zu einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit führen können. Die Folgen für betroffene Tiere können dabei beträchtlich sein, da das Ausleben arttypischer Verhaltensweisen, insbesondere der Fortbewegung, Nahrungssuche und -aufnahme sowie des Komfortverhaltens, erschwert und in extremen Fällen sogar unmöglich werden kann. Letztere führen in den meisten Fällen zum Tod bzw. machen eine Nottötung unerlässlich. Bisher ist unklar, wie viele Tiere der gesamten deutschen Landentenpopulation wirklich von Verhaltensstörungen betroffen sind.
Eine kontroverse Diskussion
Auch wenn diese Symptome lange nicht bei jeder Landente auftreten, so ist das gehäufte Auftreten innerhalb einer Rasse über viele Generationen hinweg tierschutzrechtlich alarmierend. Es verwundert also kaum, dass diese Rasse im Rahmen der Qualzuchtdebatte diskutiert wird. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte die Debatte rund um die Landentenzucht in einem Rechtstreit, der im Jahr 2002 durch ein Zuchtverbot für zwei Landentenzüchter in Hessen seinen Anfang nahm. Insgesamt vergingen knapp neun Jahre mit mehreren Beschwerde- und Berufungsverfahren, bis das ursprüngliche Gerichtsurteil im Jahr 2011 aufgehoben wurde. Großen Einfluss auf den Ausgang des Rechtstreits nahm dabei die Dissertation von Frau PD Dr. Julia Mehlhorn (geb. Cnotka) am Wissenschaftlichen Geflügelhof des BDRG. Denn Sie konnte mit der Entwicklung des sogenannten Umdrehtests beweisen, dass das Auftreten und die Größe eventuell auftretender intrakranialer Fettkörper durchaus züchterisch beeinflussbar sind. Der Umdrehtest wurde daraufhin als verpflichtende Maßnahme in die Satzung des BDRG aufgenommen.
Die letztendliche Rechtsprechung geht allerdings auch auf eine Ungenauigkeit in der Gesetzgebung zurück. Diese Ungenauigkeit betrifft die Wahrscheinlichkeit des Auftretens problematischer Fettkörper bzw. tierschutzrelevanter Symptome. Das deutsche Tierschutzgesetz definiert nämlich nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein tierschutzrelevanter Faktor innerhalb einer Rasse auftreten darf, bis er als Qualzuchtfaktor definiert wird. Dieser Interpretationsspielraum beeinflusste nicht nur das Geschehen während des Rechtstreits sowie das letztendliche Gerichtsurteil im Fall der hessischen Züchter, sondern sorgt bis heute für eine große Unklarheit im Umgang mit der Landentenproblematik.
Was bisher bekannt ist
Angestoßen durch das Gerichtsurteil wurden im Laufe der 2000er Jahre mehrere Studien durchgeführt, die sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzten, jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Lösbarkeit der Problematik gelangten. Zu nennen sind hier beispielsweise Studien von Bartels et al. (2001), Frahm (2004) und Cnotka (2006). Ein Meilenstein in der Erforschung der Landentenproblematik stellt die Dissertation von Frau PD Dr. Julia Mehlhorn (geb. Cnotka) am Wissenschaftlichen Geflügelhof des BDRG dar.
So kontrovers die Zucht der Landente diskutiert wird, so ist bisher erstaunlich wenig über die genauen Zusammenhänge der beschriebenen hirn- und schädelmorphologischen Anomalien bekannt. Hier die wichtigsten Fakten im Überblick:
- Intrakraniale Fettkörper treten sehr häufig bei der Rasse Landente mit und ohne Haube und teilweise auch bei Kreuzungstieren auf. Auch bei Hochbrutflugenten konnten intrakraniale Fettkörper nachgewiesen werden.
- Das Vorliegen eines oder mehrerer intrakranialer Fettkörper muss nicht zwangsläufig mit Verhaltensstörungen einhergehen. Größe und Lage intrakranialer Fettkörper sind maßgebliche Faktoren, die die Entstehung von Verhaltensstörungen und Beeinträchtigungen beeinflussen.
- Die Größe intrakranialer Fettkörper ist nicht proportional zur Größe der Federhaube. Auch Landenten ohne Haube können einen oder mehrere Fettkörper im Gehirn tragen.
- Neben intrakranialen Fettkörpern treten häufig auch Schädeldefekte und Hydrocephali (Sg. Hydrocephalus, Wasserkopf; gestörter Abfluss des Hirnwassers und dadurch Ansammlung im Schädel) auf.
- Die Missbildungsraten kurz vor dem Schlupf befindlicher Küken kann sehr hoch sein. Häufige Missbildungen sind hierbei Schädeldefekte bis hin zur Meningoenzephalozele (durch Schädeldefekte verursachte Ausstülpungen von Hirngewebe) und Schnabelhypoplasien (Unterentwicklung des Schnabels).
Wichtige Informationen zu intrakranialen Fettkörpern fehlen jedoch noch. Beispielsweise…
- Der Erbgang der Federhaube und der intrakranialen Fettkörper sowie deren genetisches Zusammenspiel.
- Die Entstehung von intrakranialen Fettkörpern während der Embryogenese.
- Das volle Spektrum der Auswirkungen von intrakranialen Fettkörpern und Schädeldefekten auf das Individuum.
- Die Quantifizierung der Auswirkungen, insbesondere von Schmerzen, Leiden und Schäden, für das Individuum.
Wie ist der aktuelle Stand
Im Jahr 2019 durfte ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit erstmals mit der Rasse Landente mit und ohne Haube und der damit einhergehenden Problematik beschäftigen. Der Fokus meiner Arbeit lag dabei auf der Überprüfung des aktuellen Status quo in der deutschen Landentenpopulation in Bezug auf das Vorliegen intrakranialer Fettkörper. Das Ziel der Studie war es, die Wirkung des 2011 eingeführten Zuchtmanagements zu überprüfen. Besonders, da die Rasse zu diesem Zeitpunkt noch immer unter Beobachtung von Tierschützern stand. Ich konnte zeigen, dass trotz des seit 2011 verpflichtenden Umdrehtests 92,5 % der untersuchten Tiere einen intrakranialen Fettkörper aufwiesen. Hiervon hatten sogar 18 % der Tiere große bis sehr große Fettkörper. Werte, die sich nur geringfügig von denen aus dem Jahr 2006 unterschieden. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass der Umdrehtest als diagnostische Methode durchaus wirksam ist und somit eine Einordnung der Fettkörpergröße mithilfe der Umdrehzeit in den meisten Fällen ermöglicht. Es zeigte sich aber auch, dass die exakte Durchführung sowie das Alter der Tiere die Aussagekraft des Tests beeinflussen. So ließ die gemessene Umdrehzeit erst ab einem Alter von 18 Lebenswochen Rückschlüsse auf die Größe eines eventuell vorliegenden Fettkörpers zu. Doch auch beim Umdrehtest bestätigen Ausnahmen die Regel. Denn einzelne Tiere entzogen sich mit ihrer Umdrehzeit dem korrelativen Muster des Umdrehtests. So gab es beispielsweise einzelne Tiere, die sich trotz eines sehr großen Fettkörpers schnell umdrehen konnten und Tiere mit kleinem Fettkörper, die sich sehr langsam umdrehten. Diese „Ausreißer“ sowie die Tatsache, dass trotz einer hohen Quote großer bis sehr großer Fettkörper massive motor-koordinative Verhaltensstörungen nur sehr selten auftraten, waren der Grund zur Weiterführung der Forschung rund um die Landente mit und ohne Haube.
Im Anschluss an meine Masterarbeit führte ich daher die Untersuchungen im Rahmen meiner Doktorarbeit weiter. Als Grundlage meiner Studie dienen jene Landenten, die während meiner Masterarbeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen mittels MRT untersucht wurden und deren hirnmorphologischer Status dementsprechend bekannt ist. Mithilfe standardisierter experimenteller Methoden soll nun geklärt werden, ob neben der motor-koordinativen Symptomatik eventuell weitere neuronale Beeinträchtigungen vorliegen, die beispielsweise das Sehvermögen, die Schnabelkoordination oder das Lernverhalten beeinflussen und ob andere diagnostische Verhaltenstests geeignet sein könnten, die „Ausreißer“ des Umdrehtests entsprechend zu charakterisieren. Die Analyse des Stresshormons Corticosterone soll außerdem Aufschluss darüber geben, ob das Kurzzeit-Stresslevel durch das Vorliegen intrakranialer Fettkörper beeinflusst wird. Darüber hinaus werden mithilfe der MRT-Daten der zur Zucht eingesetzten Tiere erste Aussagen zur Vererbung von intrakranialen Fettkörpern möglich.
Da sich meine Dissertation noch in Arbeit befindet, bitte ich um Verständnis, dass ich in diesem Artikel keine detaillierten Ergebnisse veröffentlichen kann. Mein Ziel ist es, meine Dissertation in diesem Jahr zum Abschluss zu bringen, um so einen weiteren wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Landentenzucht beizutragen.
Wissen ist ein Schatz, Arbeit der Schlüssel dazu
Einige Leser*innen werden sich vermutlich die Frage stellen, wie uns die Erkenntnisse, die in der aktuellen Studie gesammelt werden, in der Landentenzucht weiterhelfen. Was nutzt schon das Wissen, dass Tiere mit großen Fettkörpern gegebenenfalls schlechter in Lernexperimenten abschneiden oder zum Aufsammeln von Futterpellets zwei Anläufe mehr benötigen? Die Antwort hierauf ist ganz einfach: Dieses Wissen bedeutet Fortschritt im Verständnis der Problematik in einem ganzheitlichen Ansatz und ermöglicht es uns, eine adäquate Zuchtstrategie zu entwickeln, die wir den Züchtern, also Ihnen, an die Hand geben können. Bisher verfolgte Strategien müssen dabei ständig angepasst werden. So zeigte sich zwar, dass der Umdrehtest funktioniert, jedoch gibt er keine hundertprozentige Sicherheit wirklich alle Tiere mit problematisch großen Fettkörpern zu identifizieren. Sollte sich herausstellen, dass intrakraniale Fettkörper Einfluss auf weitere neuronale Funktionen haben, bedeutet dies auch, dass neben dem Umdrehtest eventuell weitere Methoden zur Diagnose problematischer Fettkörper entwickelt und herangezogen werden müssen. Letzten Endes ist es aber ebenso wichtig, dass aufwändig entwickelte Zuchtstrategien auch umgesetzt werden. Und so liegt es in der Verantwortung eines jeden Züchters, nicht nur seinen Teil zum Erhalt der Rassevielfalt, sondern eben auch zum Erhalt des Tierwohls beizutragen. Klar ist, dass es endgültig zu einem Umdenken in der Landentenzucht sowie auch bei vielen anderen Rassen, denen (teilweise zurecht) ein entsprechender Qualzuchtvorwurf anhaftet, kommen muss.
Eine Sorge bleibt
Ein wichtiger, rechtlicher Aspekt wurde bisher noch nicht thematisiert. Die Komplexität des Einflusses intrakranialer Fettkörper sowie anderer Anomalien und insbesondere die Unvorhersehbarkeit des Auftretens von neuronalen Funktionsstörungen stellen eine große Herausforderung für die Zucht von Landenten mit und ohne Haube dar. Einerseits muss ein intrakranialer Fettkörper nicht zwangsläufig mit Verhaltensstörungen einhergehen, doch andererseits muss allein aufgrund der aktuellen Datenlage und Literatur zumindest mit dem Auftreten intrakranialer Fettkörper und damit auch einem erhöhten Risiko für neuronale Dysfunktionen gerechnet werden. So stellt sich die Frage, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Verhaltensstörungen überhaupt benötigt wird oder ob allein das nachweislich erhöhte Risiko als Tatbestand im Sinne des § 11b TierSchG ausreicht.
Nach aktuellem Stand kann weder das Auftreten hirn- und schädelmorphologischer Defekte und damit auch das erhöhte Risiko neuronaler Dysfunktionen ausgeschlossen werden, noch liegt eine ausgereifte Strategie zur Zucht und Zuchtkontrolle vor, die die Problematik in absehbarer Zeit abmildern oder beenden könnte. Hierfür sind vermutlich noch Jahre der Forschung, insbesondere der genetischen Variablen, sowie Zeit zur Etablierung in der deutschen Landentenpopulation nötig.
Der Umgang mit der Rasse Landente mit und ohne Haube hat sich daher zu einem Balanceakt zwischen dem Schutz des Tierwohls und dem Erhalt der Rassevielfalt entwickelt. Somit steht die Landente stellvertretend für viele Geflügelrassen, die aufgrund von (teils übertypisierten) Rassemerkmalen in den Fokus des Tierschutzes gerückt sind. Angesichts der sich verschärfenden Tierschutzbemühungen, die auch in der breiten Gesellschaft Interesse und Unterstützung finden, muss sich die Rassegeflügelzucht entscheiden, welche Prioritäten zukünftig gesetzt und welche ethischen Vorstellungen vertreten werden sollen.
Besonderen Dank möchte ich dem Sonderverein der Entenzüchter e.V., insbesondere Paul-Erwin Oswald, JUWIRA sowie den Züchter*innen der Rassen Landente mit und ohne Haube und Streicherente für die langjährige Unterstützung meines Projektes und auch für den Mut aussprechen, sich trotz der Brisanz des Themas der Realität zu stellen und damit die Zukunft mitzugestalten.
Saskia Neukirchen
Frau Neukirchen hat Biologie an der Universität zu Köln studiert. Ihre Masterarbeit verfasste sie zum Thema „Intracranial Fat Bodies in Crested Ducks (Anas platyrhynchos f. d.) - An insight into the Status Quo of the German Crested Duck Population Concerning Behavioural and Neuro-Morphological Aspects“ (dt.: Intrakranielle Fettkörper bei Landenten mit und ohne Haube (Anas platyrhynchos f. d.) – Ein Einblick in den Status Quo der deutschen Landentenpopulation hinsichtlich ethologischer und neuro-morphologischer Aspekte) am Institut für Zoologie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Die praktische Arbeit hierzu fand bereits am WGH statt. Hierbei wurde auch Ihre Leidenschaft für die Entenrasse Landente mit Haube geweckt, so dass es ihr ein großer Wunsch war, weiter mit und an Landenten zu forschen.
Im Rahmen ihrer Promotion an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit dem Thema „Weiterführende Untersuchungen zur Problematik in der Landentenzucht“ verpflichtet sie sich den Stand der Forschung im Bereich ihres Spezialgebietes Enten voranzubringen. Ihre Promotion wird dabei von Frau Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Julia Mehlhorn vom Institut für Anatomie I des Universitätsklinikums der Universität Düsseldorf sowie Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Südekum vom Institut für Tierwissenschaften der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn betreut. Zusätzlich ergänzt sie das WGH-Team insbesondere in der Forschung, wo sie bei der Umsetzung von Forschungsprojekten, Publikationen und das Einwerben von Drittmitteln eingebunden ist. Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt ist die Öffentlichkeitsarbeit, hierbei insbesondere Führungen, Seminare und Mitwirkung an bundesweiten Ausstellungen. Frau Neukirchen hat bereits als Schülerin ein Praktikum am WGH absolviert und auch im weiteren Studienverlauf eigene kleinere Projekte durchgeführt.